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Meine Kurzgeschichte

in Kurzgeschichten 12.03.2010 19:52
von Coco • 2 Beiträge

Reise in der Nacht

eine Geschichte von Coco http://agent-chuchu.de.tl

Nadine traute ihren Augen nicht. Sie stand am Fenster ihres Zimmers und starrte in die Nacht hinaus. Ihr Herz klopfte. Ein ungewöhnlicher Anblick bot sich ihren Augen:
Die Sterne am nachtschwarzen Himmel, die in der heutigen Nacht viel blasser als sonst waren, bewegten sich.
Sie bildeten Wörter, immer dieselben:
Nadine Sternenschweif, wir brauchen dich. Nesmalaya.
Das Mädchen war verblüfft über diesen Satz. Nicht genug, dass sich die Sterne auf einmal bewegten, jetzt bildeten sie auch noch rätselhafte Sätze.
Nadine überlegt, ob sie ihre Eltern wecken sollte, doch sie hatte das Gefühl, dass es besser wäre, genau das nicht zu tun. Nervös verdrehte das Mädchen die Vorhänge an seinem Fenster, mit dem Endeffekt, dass sie auf dem Boden landeten. Fluchend warf Nadine ihre blauen Vorhänge in eine Ecke, setzte sich auf das Bett und stützte ihren Kopf in die Hände, um nachzudenken. Sie hatte eine Menge Fantasie, aber die Worte der Sterne waren so utopisch, dass Nadine befürchtete, alles nur geträumt zu haben.
Deshalb ging sie noch mal ans Fenster und beobachtete die Sterne erneut. Wieder bildeten sie Wörter, diesmal andere:
Nadine Sternenschweif, um zu uns zu gelangen, rufe laut Nesmalaya.Nadine trat vom Fenster zurück. In ihrem Kopf schwirrte alles durcheinander. Sollte sie die Reise antreten? Gab es diese Reise überhaupt? War alles nur ein Traum? Nein, das konnte nicht sein. Nadine zwickte sich in den Arm. Nein, sie träumte nicht. Also musste das mit den Sternen Realität sein. Was würde sie erwarten, wenn sie den Sternen folgen würde?
Nadines Abenteuerdrang überwog die Angst. Seit Wochen schon war ihr Leben so eintönig. Es waren große Ferien, aber alle ihre Freunde waren weg, sogar Jonathan, der Junge, dem sie ihr Herz geschenkt hatte.
Schnell packte sie sich einen Rucksack mit einigen, wichtigen Dingen, dann schulterte sie ihn und öffnete das Fenster. Die kühle Nachtluft flutete in ihr Zimmer. Nadine holte tief Luft und schrie „Nesmalaya.“ in die Nacht hinein.
Von einer Sekunde auf die andere verschwamm die Umgebung.
Nadines Augen sahen nur noch undeutliche Schlieren, die an ihr vorbeirollten wie ein bewegtes Meer. Dann, ein Augenblick später, war der Spuk vorbei.
Nadine fand sich auf einer trostlosen Ebene wieder. Einige schiefe Bäume, die ihre besten Jahre schon überschritten hatten, reckten ihre verkrüppelten Äste gen Himmel, ein paar ausgedörrte Büsche fristeten ihr Dasein weitläufig verteilt über die verlassene Ebene.
Plötzlich wurde Nadine einem sonderbaren Licht gewahr, das stetig näher kam. Sie kniff die Augen zusammen. Es waren mehrere Lichtpunkte, jeder schimmerte in einem anderen gelblichweißen Farbton, die man jedoch kaum unterscheiden konnte.
Nadine runzelte verwirrt die Stirn. Was konnte das sein? Sie beschloss, einfach abzuwarten und setzte sich auf den staubigen Boden.
Einige Sekunden später bemerkte Nadine das Lied. Das wunderbare, ergreifende Lied. Wie aus tausend Engelskehlen klang das; als ob ein himmlischer Chor direkt neben ihr stände. Die liebliche Melodie setzte sich in ihren Ohren fest und unwillkürlich summte sie mit.
Eine samtige Stimme weckte sie aus ihrem Dahingleiten im Lied: „Sei gegrüßt, Nadine Sternenschweif.“ Nadine sah auf. Sie war umringt von einer Gruppe wichtig aussehender Männer. Alle trugen weiße, einfache Gewänder, die mit Ornamenten aus feinem Goldfaden verziert waren. Doch das Sonderbare an ihnen war nicht das Licht, das sie umgab – was ja auch sehr ungewöhnlich war -, sondern etwas ganz anderes. Ihre Gesichter waren nicht wie bei normalen Menschen von Haaren umrahmt. Stattdessen befanden sich rings um ihre Köpfe Sternzacken in leuchtend gelber Farbe.
„Ha...hallo.“, brachte Nadine stotternd hervor, als sie sich von ihrer Überraschung erholt hatte. Die Männer schenkten ihr ein liebenswertes Lächeln.
„Wir sind die Sternenmänner.“, sagte einer von ihnen. „Mein Name ist Atholl. Die anderen Herren tragen die Namen Serif, Mejos, Chuchull, Mjargon und Fynn.“ Atholl deutete der Reihe nach auf seine Begleiter.
Nadine rang sich ein Lächeln ab. „Angenehm. Ich bin Nadine. Aber das wissen Sie ja schon.“ „In der Tat.“ Atholl nickte. Serif ergriff jetzt das Wort. „Wir haben dich gerufen, weil wir deine Hilfe brauchen. Nur du kannst uns retten.“
„Retten? Wovor?“, fragte Nadine argwöhnisch. „Was muss ich dafür tun?“ Sie blickte abwartend in die Runde. „Naja.“, druckste Atholl herum. „Du müsstest dich auf eine Reise begeben, die nur ein klitzekleines bisschen gefährlich ist.“
„Ein klitzekleines bisschen?“, erkundigte sich Nadine forschend. „Warum schauen Sie mich dann so zweifelnd an?“ „Eigentlich ist die Reise schon gefährlich.“, räumte Fynn ein. Seine Stimme ließ darauf schließen, dass er noch ziemlich jung war. Sie hörte sich noch etwas unreif an. „Du musst unseren Kraftstein zurückholen, den Kristall des Lichts.“, ergänzte Mejos. „Er wurde uns gestohlen.“ Mjargon wiegte während seinen Worten bedenklich den Kopf hin und her. „Von bösen Mächten.“, beendete Chuchull die Erklärung.
Schweigen folgte.
„Genauer gesagt, von Carmiz, dem Dunklen.“, griff Atholl den Faden wieder auf, wo er fallen gelassen worden war. „Er ist ein abtrünniger Stern. Früher war er wie wir, aber...“
„Ihr seid Sterne??“, unterbrach Nadine den Mann abrupt.
„Natürlich.“ Atholl nickte zuvorkommend und sah geflissentlich über Nadines dämlichen Gesichtsausdruck hinweg. „Nun ja, Carmiz hat sich verändert.“, fuhr er fort. „Er hat sich zu stark mit dunklen Dingen beschäftigt. Deshalb war er als Stern nicht mehr tragbar und musste den Nachthimmel verlassen.“ „Was er natürlich nicht so berauschend fand.“ Chuchull sah mit besorgter Miene in die Ferne. „Er hat unseren Kraftstein gestohlen, der uns befähigt, nachts am Himmel zu stehen und tagsüber durch die Welten zu reisen.“
„Ohne den Stein können wir nicht an den Himmel zurückkehren.“, erklärte Fynn. „Es weilen zwar noch alle anderen Sterne am Himmel, aber wir sechs sind die Obersten, und ohne uns läuft da oben nichts so, wie es sein sollte.“ „Wir brauchen den Stein unbedingt wieder, sonst werden alle Welten ins Chaos stürzen. Und du, Nadine, sollst ihn für uns besorgen.“, sagte Atholl.
Nadine sah den Sternenmännern der Reihe nach ins Gesicht. „Warum ich?“, flüsterte sie. „Warum sollte es mir gelingen, euren Kraftstein zurückzuholen?“
Atholl, Serif, Fynn, Chuchull, Mejos und Mjargon blickten sie feierlich an. „Weil du du bist. Du lässt dich nicht von anderen verbiegen und besitzt eine große Fantasie.“, meinte Atholl und Nadine glaubte ihm jedes Wort. „Ach ja, übrigens, falls dir das Sorgen bereiten sollte, in deiner Welt wird kaum Zeit vergehen, während du hier verweilst.“
„Gut.“, nickte Nadine, dachte aber insgeheim, dass sie ja wohl andere Bedenken als die voranschreitende Zeit hätte.
„Wohin muss ich gehen?“, fragte sie mit entschlossener Stimme. Sie hatte ihre Entscheidung gefällt: Sie würde den Sternen helfen. Sie wollte es nicht in Kauf nehmen, dass es in der Nacht nur noch dunkel sein würde, ohne das beruhigende Licht der hellen Sterne.
Atholl lächelte zufrieden. „Du hast dich also entschlossen, uns beizustehen. Schön.“ „Ja, das habe ich.“, erwiderte Nadine. „Aber wo muss ich hinreisen?“ „Nun ja...“, begann Serif zögernd. „...wir wissen es nicht genau.“, vollendete Mjargon den Satz. „Irgendwo da lang.“ Fynn deutete vage nach Süden.
Nadine schaute die Männer lange an. „Was ist, wenn ich auf Carmiz treffe?“ „Dann musst du ihn besiegen.“, beseitigte Serif die Frage. „Du bist reinen Herzens. Du kannst ihn bezwingen. Aber hüte dich vor ihm. Er kann seine Gestalt wechseln. Traue niemandem!“
„In Ordnung. Dann... gehe ich mal los.“ Sie wandte sich ab und ging einige Schritte nach Süden. Dann drehte sich Nadine noch mal um. „Danke für alles. Bis bald!“, rief sie den Sternenmännern zu. „Viel Glück, Nadine Sternenschweif. Wir glauben fest an dich. Und wir werden dich unterstützen.“, versicherte ihr Atholl mit lauter Stimme.
Mit Zuversicht im Herzen begann Nadine die Reise, die für die Sternenmänner alles oder nichts bedeuten konnte.

Etwa eine halbe Stunde später befand sich Nadine immer noch auf der trostlosen Ebene. Sie schien unermäßlich groß und breit zu sein. Eine heiße Sonne brannte vom Himmel und brachte Nadine zum Schwitzen. Unablässig fragte sie sich, ob sie das Richtige tat und was sie noch alles erwarten würde.
Nach einiger Zeit erreichte Nadine einen riesigen Felsbrocken, der einfach in der Gegend lag und aussah, als hätte ein Riese mit ihm Fußball gespielt und ihn dann einfach liegen gelassen. Viele Spalten und Risse durchzogen den monströsen Stein.
Leicht erschöpft lehnte Nadine sich dagegen und ruhte sich etwas aus. Durst quälte sie. Dummerweise hatte sie nicht daran gedacht, Wasser in ihren Rucksack zu packen. Deshalb spitzte sie die Ohren und lauschte. Sie hoffte, dass irgendwo eine Quelle wäre – auch wenn sie das nicht glaubte. Atholl!, flehte sie innerlich, bitte hilf mir! Ich brauche Wasser! Mein Durst bringt mich fast um!
Plötzlich regte sich etwas. Ein weißer Wollhaufen kroch aus einem Spalt hervor. Ein Lamm! Nadines Herz hüpfte. Sie mochte die kleinen Tierchen. Ihren weichen Flaum. Ihre unschuldigen Augen. Langsam bewegte sie sich auf das Tier zu, in der Erwartung, dass es sofort davon springen würde, wenn sie sich zu sehr näherte. Doch sie irrte sich. Das Lamm hüpfte auf sie zu. „Hallo.“, sagte es.
Nadine fuhr zusammen und erstarrte. Hatte... das Lämmchen gesprochen? „Hallo.“, wiederholte das Lamm mit sanfter Stimme, die Nadine sofort in den Bann zog. Die Stimme liebkoste die Ohren des Mädchens wie es ein weiches Ruhekissen tat. „Hallo.“, erwiderte Nadine unsicher. „Du hast sicher Durst.“, behauptete das Lämmchen. „Ich kenne einen Ort, wo es viel Wasser gibt.“ „Wirklich?“, fragte Nadine und konnte es kaum glauben. „Aber ja.“ Das Lamm lächelte friedlich. „Folge mir.“, forderte es das Mädchen auf.
Nadine lief hinter dem kleinen Tier her, das sie auf die andere Seite des Steins führte. Dort befand sich ein breiter Riss, in den Nadine mühelos reinpasste. Das Lämmchen kroch hinein und bedeutete Nadine, ihm zu folgen. Also krabbelte das Mädchen hinterher.
Der Weg dauerte nicht lange. Am Ende des Steintunnels befand sich ein großer Hohlraum. In ihm standen Unmengen von Tischen, auf denen eine dicke Staubschicht lag. Glaskolben und Reagenzgläser deuteten darauf hin, dass hier vor langer Zeit einmal mit Chemie herumexperimentiert worden war.
Das Lamm hoppelte zu einer kleinen Pumpe. „Da gibt es Wasser.“, sagte es. „Du musst nur den Schlegel schwingen, dann fließt das Wasser vorne heraus.“
Nadine ging auf die Pumpe zu und legte ihre Hand auf das angelaufene Ding. Sie drückte den Pumpenschlegel auf und ab und ein Schwall Wasser floss in das kleine Becken, das extra dafür vorgesehen war. Nadine formte mit ihren Händen eine Schale und trank. Schluck um Schluck. Sie war so beschäftigt, dass sie das Lamm nicht sah. Die Verwandlung nicht sah. Erst ein grausames Lachen ließ sie herumfahren.
Vor ihr stand ein kleinwüchsiger, rundlicher Mann, der entfernt den Sternenmännern ähnelte, aber nicht ihre beruhigende Aura besaß. Er strahlte nur Bösartigkeit aus. „Carmiz, der Dunkle.“, keuchte Nadine erschrocken. Er war das Lamm gewesen! Dann spürte sie, wie die Kraft ihre Beine verließ. Sie knickte ein und vor ihren Augen wurde es schwarz.
Als Nadine erwachte, war sie an einen Stuhl gefesselt. Sie zwinkerte und versuchte, sich an das Geschehene zu erinnern. Carmiz! Mit einem Schlag kehrte ihre Erinnerung zurück. Sie suchte mit ihren Augen den Raum ab. Der Mann stand vor einem der eingestaubten Tische und mixte ein Teufelszeug zusammen.
„He, Sie!“, rief Nadine. Der Mann drehte sich um. Ein verschlagenes Lächeln umspielte seine Lippen. „Ja, Nadine Sternenschweif?“ Nadine stutzte. „Woher kennen Sie meinen Namen?“ „Das wüsstest du wohl gerne, was.“, grinste Carmiz. „Ich weiß genau, welche Mission die Sternenmänner dir aufgetragen haben. Doch die endet hier.“ Nadine schluckte. „Was haben Sie mit mir vor?“, krächzte sie. Ihre Kehle war ganz trocken. „Das wüsstest du wohl gerne.“, sagte Carmiz wieder. „Lass dich überraschen.“ Er drehte sich wieder um und kehrte zu seinem Gebräu zurück.
Nadine kämpfte mit ihren Fesseln. Verzweifelt versuchte sie, sich zu befreien, doch es war vergeblich. Die Seile waren zu fest geschnürt. Nadine platzte fast vor Wut und Niedergeschlagenheit. „Machen Sie mich los.“, rief sie aufgebracht. „Sie können mich hier nicht festhalten! Das ist Kindesentführung!“ Sie zerrte erneut an ihren Fesseln.
„Halt die Klappe.“, entgegnete Carmiz ungerührt und mixte seelenruhig weiter. „Sie Schuft!“, beschwerte sich Nadine. „Sie sind so ein Blödmann! Sternenverräter! Möchtegernmagier!“
Carmiz drehte sich auf dem Absatz herum. „Du zerrst an meinen Nerven.“, sagte er mit drohend ruhiger Stimme. „Halt den Rand oder du wirst die nächsten Minuten nicht klar erleben. Du willst doch merken, wie du stirbst.“ Er trat auf Nadine zu und stoppte einige Zentimeter vor ihrem Gesicht.
„Pah!“ Nadine spuckte ihm direkt ins Gesicht. „Ich kann darauf verzichten. Machen Sie mich los!“ Unerwartet verpasste Carmiz Nadine eine schallende Ohrfeige. „Du ödest mich an.“ Er ging auf einen Wandschrank zu und zog ein giftgrünes Gemisch in einem Glas hervor. Er schraubte den Deckel ab und kam damit auf Nadine zu. Jetzt bekam es das Mädchen mit der Angst zu tun. Was war das? Nadine versuchte mit ihrem Stuhl zurückzurutschen, doch der rührte sich nicht von der Stelle. Sie presste die Lippen fest zusammen. Anscheinend wollte der Mann ihr das Zeug einflößen. Aber den Gefallen würde sie ihm nicht tun. Carmiz beugte sich über Nadine. „Mach den Mund auf.“, befahl er. Nadine schüttelte stumm den Kopf. Für nichts in der Welt würde sie den Mund aufmachen.
Carmiz schloss die Augen. Was für ein Teufelszeug plant er jetzt wieder?, dachte Nadine verzweifelt.
Plötzlich kam jemand aus einer dunklen Ecke des Raumes. Nadine riss die Augen auf. „Nadine?“ Eine nur zu bekannte Stimme drang an ihr Ohr. Eine Stimme, die ihr fast vertrauter war als ihre eigene. Seine Augen sandten eine stumme Botschaft. Mach es.
Nadine schüttelte kaum merklich den Kopf.
Sein Gesicht war voller Schmerz und Trauer. Seine Lippen formten einige stumme Worte. Nadine konnte sie ohne Mühe ablesen. Bitte tue es. Er tut mir weh, er quält mich. Tu es für mich. Bitte. „Ich kann nicht.“, flüsterte sie. „Es tut mir Leid.“ Bitte Nadine, sagten seine Augen. Er wird mich töten. Seit langer Zeit beherrschten beide die lautlose Zwiesprache.
Carmiz ging mit einem gemeinen Grinsen auf ihn zu. Er streckte die Hand nach ihm aus. „Nein!“, brüllte Nadine. „Jonathan!“ Sie bäumte sich wie wild auf, wollte zu ihm gelangen. Mit einigen Schritten war Carmiz bei ihr. Er packte ihre Nase und hielt sie zu. Nadine schnappte nach Luft. Im selben Moment, als er ihr das grüne Zeug in dem Mund schüttete, verblasste Jonathans Abbild. Es war ein Trick gewesen!
Nadines Umgebung wurde unscharf. Es war, als betrachte sie die Welt durch einen Nebel. Teilnahmslos beobachtete sie Carmiz, wie er weiter an seinen Mixturen mischte. Es war ihr mit einem Mal alles gleichgültig. Sollte er doch. Was bedeutete das schon?
Sie vergaß ihre Mission, warum sie hier war. Sie vergaß die Sternenmänner. Sie vergaß ihr voriges Leben. Es war alles egal. Das hatte das grüne Gebräu verursacht.
Plötzlich jagte ein Gedanke den Nebel vor ihren Augen auseinander wie ein Sonnenstrahl eine Wolkendecke. Jonathan! Mit einem Mal konnte Nadine wieder klar sehen. Jonathan. Sie ließ das Wort auf ihren Lippen zergehen. Jonathan. Sein Name gab ihr die Kraft, die sie brauchte. Sie wollte mit allen Mitteln zu ihm zurück. Und dazu musste sie Carmiz überlisten. Er versperrte den Weg in ihr altes Leben zurück wie eine grinsende Spinne auf ihrem Spinnennetz. Wie konnte sie seinen Klauen entfliehen? Auf jeden Fall musste sie sich erst einmal von ihren Fesseln befreien.
Das Taschenmesser! Nadine grinste verstohlen. Sie versuchte, mit ihrer Hand an die rechte Hosentasche zu kommen. Vorsichtig tastete sie nach ihrem Taschenmesser und versuchte gleichzeitig, ihre Maskerade als benebeltes Mädchen aufrecht zu erhalten.
Ja! Sie umfasste das Messer und zog es unauffällig hervor. Nadine klappte es auf und schabte an ihren Fesseln. Dass sie sich dabei in die Hand schnitt, war jetzt unwichtig. Sie musste sich befreien! Nach einigen Minuten Arbeit fielen die Seile von ihr ab.
Als Carmiz herumfuhr, war es schon zu spät. Sie stand aufrecht und ließ ihn nicht aus den Augen. In der Hand hielt sie eine von seinen Mixturen. Sie war kirschrot und sah drohend wie eine Alarmboje aus. Das erste Mal sah Nadine so etwas wie Furcht in Carmiz Augen. Vertrug er etwa seine eigenen Mischereien nicht? Das musste sie gleich ausprobieren.
Mit einer gezielten Bewegung warf Nadine das Glas nach dem Mann. Carmiz versuchte auszuweichen, aber er reagierte zu spät. Das kirschrote Gebräu traf ihn an der Schulter. Sein Fleisch zischte wie ein Wassertropfen auf einem heißen Herd. Es roch sofort verbrannt.
Schnell griff sich Nadine weitere Aufbewahrungsgläser mit Chemikalien. Sie warf eins, und während es auf Carmiz zuflog, kramte sie aus ihrem Rucksack ihre Schleuder hervor. Gut, dass sie die mitgenommen hatte! Sie legte an und warf das nächste Glas auf Carmiz zu.
Doch plötzlich kamen die Behälter zurückgeflogen!
Nadine duckte sich und sie schlugen gegen die Wand hinter ihr. Verbissen attackierte sie Carmiz weiter. Der stand nicht zurück und bombardierte sie ebenfalls mit Mixturen. Es war fast wie eine Tortenschlacht, nur mit hochgefährlichen Mischereien.
Entsetzt starrte Nadine nach kurzer Zeit auf die Wand hinter ihr. Sie hatte alle Chemikalien bis auf eine aufgebraucht. Carmiz grinste überlegen und sah sich schon als Sieger. Doch das wollte Nadine nicht hinnehmen. Mit einem lauten Schrei rannte sie auf Carmiz zu und donnerte ihm das letzte Glas mitten ins Gesicht. Das blaue Gemisch traf ihn direkt auf die Augen. Nadine wandte sich ab. Sie wollte nicht sehen, was mit dem Dunklen passierte. Sie ließ stattdessen ihren Blick durch den Raum schweifen. Wo war der verflixte Kristall des Lichts? Da! Sie hatte ihn entdeckt. Auf einem Regal lag er. Nadine sprintete hinüber und packte ihn sich. Dann warf sie einen letzten Blick auf ihren Gegner. Sie schrak zusammen und ihr Herz drohte vor Schuldgefühlen zu zerspringen. Carmiz war blind! Fluchend tastete er sich die Wand entlang und jammerte die ganze Zeit: „Ich kann nichts sehen!“
Nadine drehte sich ohne ein Wort um und verließ den Keller auf dem Weg, den sie hergekommen war. Carmiz hatte sie schließlich umbringen wollen! Da war es nur gerecht, dass er jetzt nichts mehr sehen konnte. Oder? Nadine war aber froh, dass sie ihn nicht um die Ecke gebracht hatte. Dann würden sie die Schuldgefühle noch mehr plagen als sie es ohnehin schon taten.
Aber immerhin hatte sie den Kristall des Lichts erbeutet. Carmiz hatte nicht länger die Macht über die Sternenmänner.
Der Nachthimmel würde wieder heller leuchten, weil Atholl und die anderen zurückkehren konnten.
Sie würden die ganze Sache am Firmament koordinieren und wieder Ordnung in das Durcheinander bringen.

Wieder auf der Ebene ging sie nach Norden, zurück
zu der Stelle, an der sie die Sternenmänner getroffen hatte. Sie freute sich schon auf deren Gesichter, wenn sie ihnen den Kristall des Lichts unter die Nase halten würde.

Aber am allermeisten freute sie sich auf zu Hause.


Ich hoffe, die Kurzgeschichte gefällt euch! Ich weiß, sie ist ein bisschen lang, doch wer gerne schmökert, findet bestimmt Gefallen daran. Aber die Geschichte unterliegt meinem Copyright!
LG Coco

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